Ausschreitungen nach Querdenken-Demo in Leipzig - Eine Zusammenfassung

Leipzig – Am vergangenen Wochenende ist es in Leipzig zu Ausschreitungen zwischen einzelnen Personengruppen sowie zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Auslöser dafür war eine Demonstration der Initiative “Querdenken”, welche am 07.11.2020 in Leipzig einen groß angelegten Protest gegen die Coronaschutzmaßnahmen gestaltete.

Gegen 9 Uhr sammelten sich die Teilnehmer einer ersten Demonstration, eines Fahrzeug-Korsos auf dem Gelände der alten Messe. Es war die erste von 27 Demonstrationen, welche an diesem Tag in Leipzig angemeldet waren. Der Korso wurde gegen 10:10 Uhr auch im Namen von “Querdenken” eröffnet und setzte sich anschließend in Bewegung. Nach gut 300 Metern wurde dieser dann von einer Sitzblockade an der Weiterfahrt gehindert. Die Blockade hatte fast eine Stunde bestand und sich später von selbst aufgelöst. 

Zwischenzeitlich wurde der geänderte Austragungsort der “Querdenken”-Demo, welcher auf die Parkplätze der neuen Messe verlegt werden sollte, vom Oberverwaltungsgericht Bautzen gekippt. Die breite Masse durfte durch diese Entscheidung doch auf den Augustusplatz ziehen, welcher sich ab 11 Uhr füllte. Zur Eröffnung der Demonstration unter dem Slogan „Versammlung für die Freiheit“ waren gegen 13:25 Uhr zwischen 20.000 und 30.000 Personen auf dem Augustusplatz und den umliegenden Straßen zu gegen. Manche Medien berichten teilweise von bis zu 45.000 Teilnehmern an der Demonstration. Dicht gedrängt standen die Menschenmassen ohne Abstände und Mund-Nasen-Bedeckung zusammen. Immer wieder gab es Ermahnungen der Polizei und des Veranstalters. Da dies jedoch nicht zielführend war, wurde die Versammlung aufgelöst. “Aufgrund der Tatsache, dass der Versammlungsleiter die behördlichen Auflagen bezüglich der Anzahl der Teilnehmer und der Einhaltung der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung nicht durchsetzen konnte, wurde die Versammlung um 15:35 Uhr durch die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig für beendet erklärt. Die Polizeidirektion Leipzig setzt nunmehr die Beendigungsverfügung um”, so die Polizeidirektion Leipzig am Samstagabend.

Nach Beendigung der Demonstration durch die Versammlungsbehörde wollte diese durch die Innenstadt marschieren, wo diese jedoch durch die Polizei an der Wintergartenstraße gestoppt wurde. Aus den Reihen der Querdenken-Demo wurden die Beamten, aber auch Pressevertreter mit Wurfgeschossen wie Flaschen, aber auch mit Pyrotechnik beschossen. Immer wieder kam es zu Ausschreitungen gewaltbereiter Gruppen, welche augenscheinlich dem rechten Spektrum, Hooligan-Szene aber auch der Neonazi-Szene zuordenbar waren. Von hinten heran schob sich dann der gesamte Demonstrationszug. Die Polizei schien in diesem Moment mit der Lage sichtlich überfordert. Es dauerte nicht lange, bis sich von der anderen Seite der Absperrung Gruppen der Querdenker bildeten, welche zuvor den Bereich verlassen hatten. Die Situation eskalierte, so dass die Polizei die Absperrmaßnahmen nicht aufrechterhalten konnte. Immer wieder gab es gewalttätige Übergriffe, Festnahmen und verletzte Beamte sowie Journalisten. Die Polizei und die Presse waren schließlich von Demonstranten eingekesselt. Letztlich gab die Polizei nach und ließ die Demonstranten, welche sich für ihren “Erfolg” feierten, ziehen. Bis auf den Schlagstock und Pfefferspray wurden jedoch keine Maßnahmen zur Eindämmung der Gewalt an dieser Stelle getroffen. Das Handeln der Polizei gegenüber der teilweise gewalttätigen Demonstration bleibt fraglich.

Medienvertreter berichteten, dass auch der Schutz der Pressefreiheit keineswegs gegeben war. Sie wurden teilweise massiv von Beamten an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert und wurden durch Teilnehmer der Querdenken-Demonstration angegriffen. “Die Polizei kontrollierte bereits gegen Mittag eine Gruppe Journalisten am Hauptbahnhof die eine Anreise von NPD und anderen Rechtsradikalen dokumentierten”, wie ein Medienvertreter berichtete. Während der Demonstration von Querdenken kam es immer wieder zu Angriffen oder Jagdszenen auf Journalisten die Bilder der Demonstration anfertigen wollten. Am Hauptbahnhof wären Pressevertreter von Anreisenden mit “Sieg Heil” begrüßt worden und wurden mit den Worten “Ihr bekommt gleich noch Besuch von unseren Leuten, die Euren Presseausweis kontrollieren” konfrontiert. Aber nicht nur die Presse wurde durch einige Teilnehmer der Querdenken-Demonstration an ihren Freiheiten gehindert. Auch politische Gegner wurden angegriffen. Am Nachmittag kam es auch zu einer Schlägerei zwischen rechtsradikalen Hooligans und Antifaschist*innen. Die Polizei schritt schnell ein und nahm mehrere Rechtsradikale in Gewahrsam.

Anders sah hingegen am Abend im Leipziger Stadtteil Connewitz aus. Nachdem die Gegendemonstration von der Innenstadt nach Connewitz zog gab es Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Am Polizeirevier Connewitz gingen durch den Beschuss mit Steinen einige Scheiben zu Bruch und Barrikaden wurden entzündet. Nachdem ein Vorrücken der Feuerwehr nicht möglich war, bat diese die Polizei um Amtshilfe. “Im Rahmen der Aufklärungsmaßnahmen wurden erhebliche Mengen an Stein- und Flaschendepots festgestellt, so dass entschieden wurde, die Feuerwehr nicht erneut zum Einsatz zu bringen. Zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wurden Polizeieinheiten und Sondertechnik (Wasserwerfer und Sonderwagen) in den Stadtteil verlegt”, hieß es in einer Polizeimeldung. Die Wasserwerfer wurden zum Löschen der Barrikaden eingesetzt.

Die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel stellt sich als fraglich heraus, da bei den Bränden in Connewitz keine Gefahr für Leib und Leben drohte. Auch das hingegen milde Vorgehen der Polizei bei den Ausschreitungen der Querdenken-Demonstration lässt einige Fragen offen, ob mit zweierlei Maß gemessen wurde. Bei den Ausschreitungen der Querdenken-Demo gab es Verletzte und tätliche Übergriffe auf die politische Gegenseite, welche die Polizei nicht konsequent verhinderte. Sondertechnik oder angezeigte Gewalt kam nicht zum Einsatz. Am Einsatzgeschehen in Leipzig wird derzeitig eine politische Aufarbeitung der Geschehnisse gefordert.

“Insgesamt waren die Polizeikräfte mit der Situation in #le0711 heute völlig überfordert. Massenhafte Verstöße gegen Regeln wie die Maskenpflicht wurden kaum geahndet. Pressevertreter*innen sahen sich den Übergriffen Rechtsradikaler schutzlos ausgeliefert”, schrieb die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken im Nachgang der Demonstration via Twitter. “Insgesamt ist dieser Tag eine Bankrotterklärung des sächsischen Innenministers und des Bundesinnenministers”, so Esken. Auch der Vorsitzende der sächsischen SPD, Martin Dulig äußerte via Twitter am Samstagabend Kritik an den Geschehnissen: “Coronaleugner laufen ungehindert über den Ring. Der Staat hat sich in Leipzig heute am Nasenring durch die Manege führen lassen”, so Dulig. Einige Personen sehen das Verhalten der Polizei am Demonstrationstag als “ein Zeichen des totalen Versagens an”, da sich die Polizei nach Aussagen von Augenzeugen “komplett zurückzog und Polizeiketten für aggressive Teilnehmer der Querdenken-Demonstration öffnete”.

Nach Angaben der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju/ver.di) wurde bekannt, dass es 38 Übergriffe auf Medienvertreter, neun davon durch die Polizei, im Rahmen des Versammlungsgeschehens in Leipzig bekannt wurden. „Im Vergleich etwa zu den Anti-Corona-Demonstrationen in Berlin haben wir gestern eine völlig neue Dimension beobachtet, was das Ausmaß der Gewalt betrifft“, beklagte die Vorsitzende der dju in ver.di, Tina Groll. Groll kritisierte zudem das Verhalten der Polizei, deren Strategie in Passivität bestanden habe. „Die Polizistinnen und Polizisten sind ihrer Aufgabe, die Pressefreiheit durchzusetzen und Journalistinnen und Journalisten zu schützen, nicht nur nicht nachgekommen. Sie haben diese zum Teil selbst an ihrer Arbeit gehindert“, so Groll. „Angesichts des absehbar problematischen Umfelds und der massiven Mobilisierung in rechtsextremen Kreisen hätten die Sicherheitskräfte vorbereitet sein müssen. Dies war offensichtlich nicht der Fall“, kritisierte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. „Dieser gefährlichen Entwicklung muss Einhalt geboten werden. Demokratie und Pressefreiheit müssen an Ort und Stelle durchgesetzt und die Pressevertreterinnen und -vertreter endlich wirksam vor Übergriffen geschützt werden“, betonte Schmitz.

Die Polizei war nach eigenen Angaben mit insgesamt 3.200 Einsatzkräften im Einsatz. Darunter befanden sich 21 Hundertschaften, zwei Wasserwerferstaffeln, drei Polizeihubschrauber, acht Polizeipferde und sieben taktische Lautsprechertrupps. Die Polizeidirektion Leipzig wurde dabei neben Kräften aus den Polizeidirektionen sowie der sächsischen Bereitschaftspolizei aus Bayern, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Berlin und Bundespolizei unterstützt.

Die Polizeidirektion Leipzig veröffentlichte in einer Medieninformation folgende Zahlen:

  • 102 Straftaten mit 89 Beschuldigten (darunter ein schwerer Landfriedensbruch, zehn Landfriedensbrüche, 14 tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, neun Widerstände gegen Vollstreckungsbeamte, 13 Körperverletzungen und elf Sachbeschädigungen)
  • 31 freiheitsentziehende Maßnahmen
  • 13 vorläufige Festnahmen
  • 18 Gewahrsamnahmen
  • über 140 Ordnungswidrigkeiten nach der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung und dem Sächsischen Versammlungsgesetz
  • 31 Einsatzkräfte leicht verletzt
  • 32 Übergriffe auf Medienvertreter (jedoch keiner polizeilich angezeigt)

Quelle: SPM Gruppe/ Redaktion