Keine Leipziger Verhältnisse in Chemnitz

Chemnitz – Wegen Vermummung und Beleidigung auf einer Demonstration, welche zwei Jahre zurück liegt, fand am 16.06.2020 vor dem Landgericht in Chemnitz ein Prozess gegen eine 27-jährige Person mit antifaschistischen Ansichten statt.   

Am ersten Mai 2018 demonstriere die Neonazi-Kleinstpartei „Der dritte Weg“ in Sachsens drittgrößter Stadt. Unter dem Motto „Heraus zum Arbeiterkampftag“ nahmen damals schätzungsweise 700 Neonazis an dieser Demonstration teil. Eine Vielzahl an Initiativen meldeten Veranstaltungen gegen den Aufmarsch an. Gut 4.000 Menschen beteiligten sich an den Gegendemonstrationen. Ausrichter der Gegendemonstrationen waren unter anderem der DGB Stadtverband Chemnitz, Studentenrat der TU Chemnitz, Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V., Kulturbündnis „Hand in Hand“ und das Bündnis „Chemnitz Nazifrei“. Die größte Gegenveranstaltung startete am Hauptbahnhof und stand unter dem Motto „Den Worten Taten folgen lassen“. 

Die Polizei teilte im Vorfeld mit, dass es möglicherweise zu Zusammenstößen zwischen den unterschiedlichen politischen Gruppierungen kommen könnte. Aus diesem Grund war die Polizei an diesem Tag mit einem Großaufgebot mit circa 2.000 Beamten aus Sachsen, Thüringen, Bayern und Nordrhein-Westfalen im Stadtgebiet präsent. Auch die Bundespolizei unterstützte den Einsatz. Neben normalen Besatzungen der Bereitschafts- und Landespolizeien waren auch Wasserwerfer bereitgestellt. Letztlich zog die Polizei eine positive Bilanz an diesem Tag. Das Resultat waren 46 Anzeigen, 9 Ordnungswidrigkeiten und 14 vorläufige Festnahmen, auf den verschiedenen Versammlungen. 

Zu den Anzeigen und vorläufigen Festnamen zählte auch der Fall eines zum Tatzeitpunkt 25-jährigen Antifaschisten aus Leipzig, welcher im Juni 2020 in zweiter Instanz in Chemnitz vor Gericht verhandelt wurde. Im späteren Verlauf der Demonstration wurde dieser aus einer Gruppe heraus im “Park der Opfer des Faschismus” festgenommen. Die Festnahme erfolgte durch das USK Bayern (Unterstützungskommando Bayern), eine auf schwierige Einsatzlagen spezialisierte Einheit der bayrischen Polizei. Nach einer anschließend vollzogenen Identitätsfeststellung erfolgte die Anfertigung zweier Anzeigen, welche die Delikte der Vermummung und Beleidigung als Vorwürfe enthielten.  

Im Dezember 2018 folgte der erste Gerichtstermin nachdem der Aktivist gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegte. Dieser wurde am Amtsgericht Chemnitz verhandelt. Für den Prozess waren insgesamt 4 Zeugen angereist, die sich alle im polizeilichen Dienstverhältnis befinden. Die Staatsanwaltschaft versuchte eine hohe Geldstrafe zu erwirken. Die Richterin hingegen konstatierte eine geringe Relevanz des Prozesses und deutete eine mögliche Einstellung des Verfahrens an. Auf Druck der Staatsanwaltschaft sah diese davon ab und verurteilte den Studenten zu 55 Tagessätzen zu je 15€ als Gesamtgeldstrafe. Dagegen legte der 27-jährige Leipziger zusammen mit seinem Anwalt Revision ein. In zweiter Instanz wurde 16.06.2020 vor dem Landgericht Chemnitz verhandelt. Bereits im Vorfeld hatte der Richter eine höhere Strafe als die bisherige für möglich erklärt. Gegenüber Zuschauern trat er autoritär in Erscheinung. Die Verhandlung war sehr schnell zu Ende, beide Seiten zogen ihre Revision zurück. Der Staatsanwalt ließ verlauten: Der Angeklagte entspreche nicht dem typischen Bild eines Extremisten. Zugleich betonte er die Relevanz einer Verurteilung: „Da man in Chemnitz keine Leipziger Verhältnisse möchte“.  Somit blieb für den jungen Mann die Strafe aus der Verhandlung am Amtsgericht bestehen. 

Verfahren, welche geringfügige Tatbestände aus Versammlungsgeschehen zur Last legen, stehen durch ihre gesellschaftliche Relevanz, wie auch durch die Tatbestände selbst häufig in der Kritik durch zivilgesellschaftliche Gruppen und Institutionen. 

Das Vermummungsverbot wurde 1985 vom Bund eingeführt. Demnach ist es verboten, an Veranstaltungen „in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen“. Alle Bundesländer haben ähnlich Paragraphen in ihr Versammlungsgesetz übernommen. Größere Ereignisse wie der G20 Gipfel in Hamburg haben die Debatte dazu wieder in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. 

Im Kontext von Gegenveranstaltung wie in Chemnitz wird aufgrund des Gefahrenpotenzials durch rechte Demonstrierende der Schutz der Identität durch linke AktivistInnen in den Vordergrund der Debatte gerückt. Ziel des in Deutschland unter “Schutzbewaffnung” zählenden Vermummungsverbotes auf Demonstrationen ist es, dass Ordnungsbehörden leichter Straftäter in einer Menschenansammlung identifizieren können. Klar ist, dass das Vermummungsverbot einen Einschnitt in die freie Meinungsäußerung darstellt und Personen davon abhält, ihre Meinung und Haltung öffentlich kundzutun. Bei vielen Demonstranten herrscht der Wunsch nach Anonymität – und das nicht zuletzt aus Furcht vor späteren Straftaten politischer Gegner auf Einzelpersonen, welche nicht mehr im Rahmen der öffentlichen Aufzüge stattfinden.  

Im Jahr 2018 beschäftigte sich der wissenschaftliche Dienst des Bundestages im Sachstand “Das versammlunsrechtliche Vermummungsverbot” mit dem Thema Vermummungsverbote. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in seinem Sachstand eine Differenzierung zwischen dem verhindern von Idenditätsfeststellungen in Bezug auf einen „erkennbaren Gewaltbezug“ oder die „Widerlegbarkeit der Gefährlichkeitsvermutung“ angesprochen. Gegen eine Idenditätsfeststellung Dritter hält der wissenschaftliche Dienst eine Vermummung für legetim. “Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Identität eines Versammlungsteilnehmers haben nur die Polizei und die Versammlungsbehörde. Daher verstößt nicht gegen das Verbot, wer sich vermummt, um von Dritten nicht erkannt zu werden. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn sich ein Teilnehmer vor gewaltbereiten politischen Gegnern schützen will, insbesondere wenn diese Versammlungsteilnehmer fotografieren” (1), heißt es. (WD 3 – 3000 – 313/18).  

(1) Quelle: https://www.bundestag.de/resource/blob/578798/5ae2481197a460816298f485c6c71871/WD-3-313-18-pdf-data.pdf, 16.07.2020 

Quelle: SPM Gruppe/ fcs
Bild: Bild von succo auf Pixabay