Vom Kapitalismus zur Corona-Pandemie

Streichhölzer symbolisiert als das Unterbrechen von Infektionsketten. Foto: Erik Frank Hoffmann

Deutschland – Die Nachrichten werden seit einigen Monaten von einem Thema dominiert, welches weltweit für Schlagzeilen sorgt. Die Rede ist dabei von dem Erreger Sars-CoV-2, welcher die Atemwegserkrankung Covid-19 hervorrufen kann. Diese Infektionskrankheit ist umgangssprachlich als Corona bekannt geworden. Die Medien veröffentlichen täglich neue Fallzahlen zu Infektionen und vermeintlich fundierte Aussagen vieler Politiker*innen, welche sich rund um das Thema Corona drehen. Wir bekommen dabei mit, dass sich in unseren gesellschaftlichen und politischen Systemen etwas ändert – zumindest läuft vieles nicht wie geplant. In vielen Ländern sind Praxen von Ärztinnen und Ärzten auf Grund der Corona-Pandemie maßlos überfüllt, Schutzausrüstung fehlt und die Situation scheint ausweglos. Doch Corona wirkt weiter in alle Sektoren aus Medizin, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Alle Zweige unserer Systeme fühlen sich angegriffen und manche fürchten sogar um ihre Existenz. Uns stellt sich nun die Frage, aus welchen Gründen wir ein System weiter nähren sollten, wenn die Schwächen bei einer Krisensituation so groß sind? Hat unser System vielleicht Pandemien mitzuverantworten? Diesen Fragen gehen wir in den folgenden Zeilen nach.  

 Als erstes versuchen wir einmal den Begriff „System“ zu klären und was grundlegend darunter zu verstehen ist. Jedoch muss man noch einige Fragen, welche man direkt mit dem systematischen Ablauf unserer Gesellschaft in Verbindung bringen kann stellen.  

– Was ist es, was in unserer Gesellschaft den Leistungsgedanken immer weiter trimmt, was die Wenigen privilegiert und von den Vielen lebt? 

– Was ist es, wofür wir Tage, Monate, Jahre, ja sogar Jahrzehnte unseres Lebens investieren?  

– Vor allem aber, was ist es, was uns so anhängig macht, was uns unsere Utopien und Freiräume nimmt, was keine Alternative zulässt? 

Die Antwort auf die Fragen ist stets gleich und lässt sich mit dem Begriff Kapitalismus umschreiben. Wir befinden uns in einem System, welches Wachstum nicht nur fördert, sondern das Wachstum zum Überleben benötigt. Dies bedeutet, dass Gewinn und Kapitalvermehrung für dieses wirtschaftliche System unerlässlich sind. Damit verbunden rücken wichtige soziale und ökologische Themen immer weiter in den Hintergrund. Dominant sind vorrangig die Interessen der Kapitaleigentümer*innen, welche einen großen Anteil unserer Systems einnehmen.

Wenn eine Pandemie einmal ausgebrochen ist, kann über verschiedenste Themen debattiert werden, doch viele Fragestellungen, vor allem nach der Problemursache bleiben offen. Es wird über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung diskutiert, über Unterbrechungen von Infektionsketten und es werden Forschungen nach einem Impfstoff angestoßen. Dabei versuchen wir stets nach vorn zu blicken und lassen unbeachtet, woher die Pandemie kommt. Rechtspopulistische Medien glauben die Antwort im Lebensstil der Chines*innen und Asiat*innen gefunden zu haben. Völlig ungeachtet der Erörterung, inwiefern globale kapitalistische Strukturen das Leben der Menschen an unterschiedlichsten Orten auf der Erde beeinflussen, werden unbegründet und mit voller Absicht Menschengruppen diffamiert und diskriminiert. So ist für das Entstehen von Viren und multiresistenten Keimen zu einem großen Teil die Zerstörung unserer Ökosysteme durch die neoliberale Wirtschaftsweise verantwortlich. Nicht erst seit Gestern machen Umweltbewegungen wie Fridays for Future, Ende Gelände und Extinction Rebellion auf das Artensterben und andere Folgen des Klimawandels aufmerksam, doch ist deren Einfluss begrenzt. Die Art und Weise wie die Menschheit mit der Natur aktuell umgeht, wie sie die Umwelt sogar zerstört, erfordert hingegen dringendsten Handlungsbedarf. Nicht zuletzt ist der Mensch die Hauptursache für den Rückgang der Artenvielfalt und die Auslöschung intakter Lebensräume und Ökosysteme. Dabei kann die Zerstörung vom Menschen direkt, wie durch Brandrodung, oder indirekt durch die Folgen des Klimawandels (Fluten, Waldbrände, Gletscherschmelzen) gefördert werden. Leben mehr Tiere einer Art in dem selben Lebensraum, so werden Infektionskrankheiten zwischen den Tieren wahrscheinlicher. Werden Lebewesen aus ihrem natürlichen Terrain vertrieben, so hat dies meist mit den Interessen von Agrar- und Lebensmittelkonzernen, Spekulierenden und Investierenden zu tun, denn wie lässt sich mit einem Wald im Kapitalismus wohl mehr Gewinn verdienen – mit Artenschutz oder ökologischer Landwirtschaft hat dies oft wenig zutun. Die Agrarindustrie spielt aber auch noch eine ganz andere Rolle. Durch Massentierhaltung werden Treibhausgase emittiert und somit der Klimawandel gefördert, was zwar moralisch verwerflich, aber bekannt ist. Weniger wahrnehmbar ist hingegen der Fakt, dass große Monokulturen von Nutztieren höhere Übertragungsraten von Viren fördern. Konzerne, die ihr Geld mit Massentierhaltung erwirtschaften, nehmen also billigend die Entscheidung für die Entstehung eines Virus in Kauf, dass Millionen von Menschen töten könnte. (1) 

Ein weiteres Problem unserer imperialistisch globalisierten Welt ist der Raub von Lebensgrundlagen. Oft kommt es aus Gründen der Perspektivlosigkeit zum Wildjagen und zum Verzehr von Buschfleisch, was die Übertragungswahrscheinlichkeit von Krankheitserregern erhöht. Da Deutschland nicht mehr in der Lage ist sich durch Eigenproduktion selbst zu versorgen, ist das Land auf Lebensmittelimporte angewiesen. Hierbei ist das Ego für fairen internationalen Handel natürlich zu groß. Nur die Kapitalsteigerung macht im Kapitalismus zum Gewinner oder zur Gewinnerin. Zu den Verlierer*innen gehören beispielsweise die Indigenen und die lokale Bevölkerung Westafrikas, deren Versorgungsgrundlage geraubt wird, wenn chinesische, japanische und europäische Konzerne westafrikanische Küsten leer fischen. Ein solches antihumanistisches Handeln der Konzerne steigert in besagten Gebieten nicht nur Armut und Arbeitslosigkeit, sondern führt wie schon beschrieben auch zu einem vermehrten Infektionsrisiko. (2) 

In der momentanen Ausnahmesituation kann nicht vorrangig die ökologische Ebene betrachtet werden. Werfen wir nach dem kapitalistischen Handeln im Bezug auf unsere Umwelt einen Blick auf unser Gesundheitssystem, bahnen sich medizinische Ansätze zur Lösung der Pandemie an, so dass unsere Regierung Zuversicht ausstrahlt. Bisher gibt es auch noch keinen Grund, dass wir diese Krise nicht überstehen würden. Verglichen mit Italien und Spanien gibt es in Deutschland derzeitig noch genug freie Intensivbetten mit Beatmungsgeräten und es werden aktiv weitere Intensivbetten bereitgestellt, indem beispielsweise aufschiebbare Operationen verschoben werden. Aber ob sich auf den bloßen Bemühungen der Politik ausruht werden kann ist fraglich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Krankenhäuser immer zunehmend in kapitalistische Systeme integriert. Bis 1985 durften Krankenheime in Deutschland keinen Gewinn machen. Jedoch wurden diese Regelungen bis heute nach und nach gelockert. Spätestens mit der Einführung der Diagnosebezogenen Fallgruppen (kurz DRG) als Festpreisabrechnungssystem war man im aktuellen Wirtschaftssystem angekommen. So gibt es neben den gemeinnützigen GmbH Krankenhäusern auch private, gewinnorientierte Einrichtungen, für welche die Geldvermehrung überlebenswichtig ist. Als Beispiel sei der Gesundheitskonzern „Fresenius-Helios“ genannt, welcher laut Eigenangaben „Europas führender privater Krankenhausbetreiber“ ist. Das Unternehmen strebt eine Gewinnmarge von 12 – 15 % an und hat somit in den ersten drei Quartalen 2019 über 450 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet. (3) Es bleibt zu hinterfragen, ob eine gute Gesundheitsversorgung mit einer börsen-orientierten Unternehmensphilosophie zu vereinbaren ist. 

Stehen Umsatz und Gewinn durch das Gesundheitswesen im Vordergrund, so kann Gesundheit und Vorsorge zum Nebenprodukt der Gewinnmaximierung werden. Die heutige Auslastung deutscher Krankenhäuser im Normalbetrieb ist mit knapp 80 % ziemlich hoch. Ebenso sind Pflegekräfte oft überlastet, da sie für zu viele Patient*innen verantwortlich sind. Das bei einer hohen Auslastung der medizinischen Einrichtungen eine Gefahr für nosokomiale Infektionen, also Infektionen, die während eines Aufenthalts in einer Pflege- oder Gesundheitseinrichtung auftreten, höher ist, scheint dabei auf wenig Interesse zu stoßen. Auch sind wirtschaftliche Interessen  mitverantwortlich für die Verringerung der Verweildauer und Nachbehandlung von Kranken. Die angeblichen Erfolge der Privatkrankenhäuser stützen sich oftmals auf Überarbeitung der Angestellten, Bezahlungen unterhalb des Tariflohns und Rosinenpickerei. Mit letzterem ist gemeint, dass Krankenhäuser die Patient*innen anhand ihrer Krankheit aussuchen, denn ökonomisch gesehen lohnt sich die Behandlung mancher Krankheiten oft finanziell mehr und dementsprechend anderer Krankheiten weniger. (4) So entsteht im Gesundheitssystem eine Zweiklassen Gesellschaft.  

Ob unser Gesundheitssystem für die aktuelle Krise gegen Corona genügend vorbereitet ist, wird sich zeigen. Videos und Bekanntmachungen von Mitarbeiter*innen im gesundheitlichen Dienst lassen hingegen schon jetzt schlimmes ahnen. Eine Ökonomisierung, also eine Ausbreitung des Marktes auf das Gesundheitswesen sollte kritisch gesehen werden und das nicht nur in Krisenzeiten. Dass es Gesundheitskonzerne gibt, die börsennotiert sind, zeigt wie widerlich die Situation schon jetzt ist, denn an der Börse wird mit der Gesundheit jedes Einzelnen spekuliert und wer will das schon.  

Zum Schluss muss die Doppelmoral des Kapitalismus hinterfragt werden. In der aktuellen Krise versucht die Regierung der Bevölkerung mit Milliarden-Hilfspaketen zu suggerieren, das System sei für sie da. Komischerweise handelt der Kapitalismus jedoch nur, wenn eine direkte Gefahr für jede*n Einzelne*n wahrnehmbar ist. Im Bezug auf die existentielle Frage des 21. Jahrhundert, den Klimawandel gibt es kaum Förderpakete. Das Sensibilisieren der Gesellschaft wird an einem 17-jährigen Mädchen ausgesourct. „I want you to panic!“, fordert sie uns auf. Die Regierungen hingegen zeigen kaum Interesse an diesen Themen. Sie wollen unsere Wirtschafts- und Lebensweise schrittweise anpassen, was bedeutet, dass man so weiter machen wird wie bisher. Der Klimawandel wird nicht als substantielles Problem bewertet. Konzerne, die unsere Umwelt bewusst verschmutzen oder unsere Ökosysteme mit voller Absicht zerstören müsste man diese rigoros enteignen. Stattdessen dürfen Unternehmen weiterhin mit unserer Umwelt spekulieren. Scheinbar wird der Handlungsbedarf nicht so dringend gesehen wie bei Covid-19. 

Sicherlich ist unser Wirtschaftssystem nicht Alleinverantwortlich für das Ausbrechen der aktuellen Pandemie, doch stellt es soziale und ökologische Belange in den Hintergrund und fördert durch zunehmende Internationalisierung der Welt die Ausbreitung von Krankheiten. Um unser Gesundheitswesen wieder auf den Menschen zu fokussieren und nicht auf den Markt wären Enteignungen ein notwendiges Mittel. Gleiches gilt für unsere Umwelt. So sind Energieversorgung, saubere Luft und Ökosysteme als Lebensgrundlage fast immer eine Klassenfrage. Nur durch gesellschaftliche Beteiligung an den Eigentumsverhältnissen und kollektiven Entscheidungen können wir international soziale und ökologische Gerechtigkeit erreichen. In dieser Perspektive ist eine Organisation verschiedener gesellschaftlicher Bereiche unerlässlich. Um ein solidarisches Zusammenleben in einer befreiten Gesellschaft zu fördern wollen Arbeitskämpfe, Klimagerechtigkeitsbewegungen, feministische Kämpfe und weitere emanzipatorische Zusammenschlüsse ihre Bemühungen erweitern und sich untereinander vernetzen. Dass es als Nebeneffekt weniger infektionsfördernde Randbedingungen geben würde, kann als zusätzlicher Ansporn gesehen werden. (rkf) 

(1) DerFreitag, 12. Ausgabe vom 19.03.2020, Seite 4, Artikel von Kathrin Hartmann 
(2) https://amp.tagesspiegel.de/politik/artensterben-und-naturzerstoerung-dieses-virus-ist-auch-der-preis-unserer-ausbeutung-der-natur/25676216.html?__twitter_impression=true; 29.03.2020
(3) https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/107016/Fresenius-Helios-Kliniken-bleiben-Sorgenkind; 29.03.2020 
(4) https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/129; 29.03.2020