Wenn der jährliche Ausnahmezustand das Maß des Zumutbaren übersteigt


Von Athur S. 

Seit vielen Jahren ist der 13. Februar ein Datum, welches in Dresden zum Ausnahmezustand wurde. Einst fand am 13. Februar 1945 die Bombardierung der sächsischen Landeshauptstadt durch Luftangriffe alliierter Truppen statt, welche bis zu 25.000 Menschen das Leben kosteten. Auch das Stadtzentrum Dresdens wurde nahe zu völlig zerstört. Vereinnahmt von diesem Datum finden jährlich Gedenkveranstaltungen statt, zu welchen rechte und rechtsextreme Gruppen aufrufen. Am 13. Februar 2020 jährte sich der Tag des Luftangriffes auf Dresden zum 75. Mal. Neben der AFD nahmen einige Rechtsextremen dies auch in diesem Jahr dieses Ereignis als Anlass um zu Gedenken und zu Trauern. Ich habe einige dieser Veranstaltungen besucht, welche sich um den Jahrestag bewegen und möchte das Erlebte, angefangen am Morgen des 13. Februar 2020, mit Euch teilen.  

Um 9 Uhr klingelte mein Wecker, ich kochte mir einen Kaffee und sprang in die nächste Straßenbahn in Richtung des Dresdner Heidefriedhofs. Ich genoss die Sonnenstrahlen, welche auf mich einwirkten und das schöne Wetter bei einem kurzen Spaziergang durch einen kleinen Wald, welcher mich an den Eingang des Heidefriedhofes führte.  Vor Ort fragten mich sofort vier Polizisten auf welche Veranstaltung ich denn wolle, was sich anfangs ungewöhnlich anhörte. Anscheinend gab es neben der angemeldeten Gedenkveranstaltung der Rechten noch eine Protestkundgebung der „Linksjugend‘solid, welche sich in unmittelbarer Nähe befand. Ich wollte mir jedoch die Gedenkveranstaltung genauer ansehen und wissen, welche Menschen einer angeblich unschuldigen Stadt gedenken. Ich staunte nicht schlecht als ich an der Gedenkstätte für die Bombardierung ankam. Ich war ein wenig schockiert als ich sah, dass der Gedenkstein der Bombardierung Dresdens 1945 in einer Reihe mit einem Gedenkstein für die Opfer von Auschwitz stand. Für mich ist es unvorstellbar, dass einer Stadt in welcher 1933 über 43,9% der wahlberechtigten Bevölkerung die NSDAP gewählt haben, genau so gedacht werden kann, wie den Opfern des Terrors im Dritten Reich. Später wurden auf einem Podium Namen von einer Liste verlesen, welche während der Bombardierung im Jahre 1945 ums Leben gekommen sind. Plötzlich ertönte ein Zwischenruf: „Das waren Täter die Namen die sie da Lesen, das waren zum großen Teil Täter“. Dem Zwischenruf entgegnet wurde dieser erwidert, dass Nationalisten auch nur Menschen waren, wie wir es sind.  „Bitte was?!“, dachte ich mir. Ich fragte mich, ob wir gerade wirklich im Jahr 2020 leben oder doch eher im Jahr 1940. Nach dem Wortwechsel wurden die Namen weiter verlesen. Es dauerte jedoch nicht sehr lange, bis ich erneute Zwischenrufe wahrnahm.  Wir gedenken der Opfer der deutschen Barbarei! Täter sind keine Opfer – Gedenken abschaffen“, rief es aus der Menschenmenge. Erst war es nur eine Stimme, dann eine Zweite und schließlich ein Meer aus Stimmen. Etwa 20 Menschen mischten sich unter das Publikum um dem an diesem Ort stattfindenden Geschichtsrevisionismus Ausdruck zu verleihen. Die Polizei begann inzwischen gewaltsam die Personen aus dem Publikum zu ziehen. Neben dem Podium positionierten sich laute Sprechchöre und ein Banner mit der Forderung das Gedenken abzuschaffen wurde von Personen gehalten. Um die Sicht auf dieses Banner zu versperren und den Protest zu unterbinden stellte sich die Polizei wie eine Mauer davor. Ganze 30 Minuten dauerte es, bis der Protest auf dem Heidefriedhof beendet wurde und die Protestierenden diesen verließen. Außerhalb des Friedhofes zeigte die Polizei eindrücklich, zu was sie in Stande ist. So prügelten Beamte Menschen auf eine Hauptstraße, dann wieder von dieser herunter. Die abreisenden Demonstranten wurden von der Polizei gekesselt und an der Abreise gehindert. Auch Pressevertreter hinderte die Polizei an ihrer Arbeit und schüchterte diese ein, als sie einer dokumentarischen Arbeit der vorherrschenden Ereignisse nachgehen. Rund um das Jubiläum der Bombardierung Dresdens gab es eine Rede vom deutschen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Später am Abend sollte es eine Menschenkette in der Innenstadt geben. Also machte ich mich auf, um nach zu schauen was da los ist.  Ich streunte ein wenig durch die Dresdner Altstadt und beobachtete das Geschehen. Dabei fiel mir auf, dass sich sehr viele Menschen in der Stadt versammelten. Der Grund dafür könnte die geplante Menschenkette darstellen. Es ist schon ein Stückweit gruselig, was ein solcher Opfermythos für eine Macht hat, dachte ich mir als ich die rund 11.000 Menschen in der Menschenkette stehen sah. Ich schaute auf meine Uhr. Es war kurz vor 18 Uhr. Pünktlich setzte dann zur vollen Stunde das traditionelle Glockenläuten aller Dresdner Kirchen ein. Zeitgleich explodierten hinter der Semperoper Feuerwerkskörper am Himmel. Ich musste schon ein wenig lächeln, da dieser Scherz sehr einfach und makaber war. Doch es blieb nicht nur beim Feuerwerk, wie ich schnell feststellte. Neben mir trennten sich einige Personen aus der Menschenkette heraus, stellten ein Banner auf und unterbrachen die Menschenkette mit Sprechchören. Ein erneutes Mal richtete sich der Protest der Aktivisten gegen das Gedenken und den Mythos des unschuldigen Dresdens. Ordner*innen versuchten unterdessen mit den Protestierenden in Kontakt zu treten. Jedoch reagierte der Protest nicht darauf und machte weiter. Zu Recht wie ich fand. Nach dem Läuten der Glocken durch Dresden verließen die Menschen die Kette und zogen ihrer Wege. Den Protestierenden gelang es an diesem Tag, dass Spektakel um das „Dresden-Gedenken“ zu stören und ein wichtiges Anliegen weiter in den Diskurs zu bringen.  

Jedoch war das Gedenken an die Bombardierung Dresdens nicht die einzige Veranstaltung rechter Gruppen und Parteien in Dresden. Am 15. Februar 2020 riefen die NPD sowie Neonazis dazu auf, einen Trauermarsch durch die Dresdner Innenstadt zu veranstalten. Um gegen den Trauermarsch zu Protestieren rief das Bündnis „Dresden-Nazifrei“ zu einer Demonstration auf. Ziel war es, den Trauermarsch im besten Fall zu verhindern oder sich ihm lautstark in den Weg zu stellen. Wie schon  am Donnerstag begann der Tag für mich recht früh. Die Demonstration sollte 11 Uhr beginnen. Als packte ich meine sieben Sachen ein und ging los. Über der Stadt herrschte die gleiche Stille wie an jedem anderen Tag. Jedoch wurde diese durch Polizeisirenen und das Summen eines Hubschraubers fast vollständig verdrängt. Ich war auf den Tag sehr gespannt, da die Polizei schon im Vorfeld ankündigte, dass Gegner*innen des Naziaufmarsches mit blauen Flecken rechnen müssen, wenn es zu Störungen oder Blockanden durch jene kommen sollte. Als ich endlich in der Innenstadt ankam war mir auch klar, dass die Polizei es diesmal ernst zu meinen scheint. An jeder Ecke standen Kraftfahrzeuge der Polizei. Manche Straßenzüge standen sogar voll von ihnen. Ab und zu ritt die berittene Staffel der Polizei mit Pferden an mir vorbei und immer wieder vernahm ich das Brummen des Polizeihubschraubers über meinem Kopf. Als ich von den ersten Blockaden hörte, machte ich mich auf den Weg. Ich wollte den Menschen etwas Wasser und etwas zu Essen vorbeibringen. Natürlich wollte ich aber auch das Verhalten der Polizei gegenüber den protestierenden Personen sehen. Schon auf dem Weg zu den Blockaden kamen mir die ersten Menschen entgegen, denen vom Tränengas die Augen ausgespült werden mussten. Kurze Zeit später konnte ich beobachten, wie eine größere Gruppe vor mir mit Reizgas eingenebelt wurde. Die Polizei hatte dazu aus meiner Sichtweise keinen richtigen Anlass, das Reizgas zum Einsatz zu bringen. Hinter mir hörte ich Polizeisirenen ertönen, was ich zum Anlass nahm, den Bereich zu verlassen, denn ich hatte keine richtige Lust auf Reizgas in meinem Gesicht. Etwas später fand ich mich dann bei einer Kundgebung am Wiener Platz vor dem Hauptbahnhof wieder. An dieser Stelle erfuhr ich, dass der Trauermarsch, welcher aus den vermeintlichen Rechten und Nazis bestand, auf Grund von drei Blockaden direkt zum Hauptbahnhof laufen mussten, wo diese die Heimreise antreten sollten. Ich war froh darüber, dass der Trauermarsch eine mehr als unattraktive Strecke hinnehmen musste, welche von der Auftaktkundgebung an der Lingerallee direkt zum Hauptbahnhof führte. Diese Freude hatte jedoch einen mehr als faden Beigeschmack. Im Gegensatz zur Räumung des „Putzi“-Geländes im Januar, über welche ich berichtete, hielt die Polizei Sachsen ihr Wort. Gegendemonstrant*innen des Trauermarsches wurden herablassend behandelt, mit Reizgas eingenebelt, verprügelt und ihnen wurden mutwillig Schmerzen durch Schmerzgriffe zugefügt. An der Budapesterstraße ließ die Polizei auch zwei Polizisten der berittenen Staffel durch eine Sitzblockade reiten und nahm damit die Gefährdung der protestierenden Personen billigend in Kauf. Ich bin ein stückweit darüber erstaunt, wie viele Menschen sich trotz einer gewalttätigen Polizei gegen Neo-Nazis und Faschismus oder den bürgerlichen Opfermythos, der den Nazis und ihrem Trauermarsch den Nährboden bereitet, in den Weg stellen und damit ihren Unmut und ihre Bedenken deutlich aufzeigen. Gleichzeitig hoffe ich, dass es jetzt allen Demonstranten wieder gut geht



Meldung der Redaktion

Dresden – Am 13. Und 15. Februar fanden in der sächsischen Landeshauptstadt mehrere Proteste mit der überwiegenden Beteiligung von teilweise rechten Gruppen und Parteien statt. Wie die sächsische Polizei mitteilte fand am 13. Februar eine Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof statt, welche durch etwa 25 Personen mit unter anderen lautstarken Zwischenrufen gestört wurde. Auch haben die Störer nach Polizeiangaben ein Transparent entrollt. Nach Aufforderung habe die Gruppe wenig später den Friedhof verlassen. Durch die Polizei wurden die Identitäten von neun Personen der Gruppe ermittelt. Im Stadtzentrum fanden im weiteren Verlauf weitere Versammlungen statt. Am Abend besuchte der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Landeshauptstadt. Zudem umfasste die Menschenkette wiederum den Innenstadtbereich und prägte das abendliche Stadtbild, teilte die Polizei mit. Eine brenzliche Situation habe es am Abend gegeben, als die Polizei, nach eigenen Angaben, ein Aufeinandertreffen zweier Lager verhindern musste. In Höhe des Mitteleinganges der Altmarkt Galerie mussten Einsatzkräfte einige dieser Personen abdrängen“, so die Exekutiv-Behörde. Insgesamt wurden an dem Donnerstag zwei Ermittlungsverfahren, eines wegen Sachbeschädigung sowie ein weiteres wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet. Im Einsatz befanden sich rund 800 Beamte. Am 15. Februar sicherten circa 1500 Beamte der Polizeidirektion Dresden mit Unterstützung von Beamten aus Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Thüringen sowie der Bundespolizei und der Bereitschaftspolizei Sachsen mehrere Aufzüge und Versammlungen im Innenstadtbereich ab. Am Vormittag starteten zwei Kundgebungen unter dem Motto „Nazis stören“ am Alaunplatz sowie am Wiener Platz, welchen sich eine weitere Kundgebung vom Bahnhof Mitte anschloss, zur Halfpipe an der Lingnerallee. Dort startete gegen 14 Uhr die Kundgebung des rechten Spektrums, wie die Polizei Sachsen Mitteilte. Gegen 15 Uhr habe sich der Aufzug der Rechten in Bewegung gesetzt. Aufgrund des umfangreichen Gegenprotestes im Umfeld nahm die Versammlung einen anderen Weg als ursprünglich geplant“, hieß es in einer späteren Medieninformation der Behörde. Grund dafür stellten einige Sitzblockaden an vielen Stellen der geplanten Strecke dar. Dem Aufzug der Rechten wurde in diesem Zuge eine andere Strecke zugewiesen. Gegen 18 Uhr endete, nach Polizeiangaben, die Abschlusskundgebung am Friedrich-List-Platz. Im Laufe des Tages hat die Polizei, im Zusammenhang mit den Kundgebungen, sieben Menschen in Gewahrsam genommen und 25 Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Körperverletzungsdelikten, Landfriedensbruch sowie Beleidigungen, eingeleitet. Am Ende des Tages sagte der Polizeipräsident Jörg Kubiessa: „Es war ein hochdynamischer Einsatz. Dennoch haben wir unsere Aufgaben erfüllt und die Ausübung der Versammlungsfreiheit für jedermann gewährleistet sowie den Protest in Hör- und Sichtweite ermöglicht.“  (EFH)

Beitragsmedien: SPM Gruppe/ mo/ asb